Stellungnahme des Migrationsrat Berlin zum Beginn des Plädoyers der Nebenklage im NSU-Prozess

„Ich will, dass die Angeklagten hier verurteilt werden, ich will, dass sie ihre verdiente Strafe bekommen… Hier im Prozess sind meine Fragen nicht beantwortet worden“, sind Elif Kubaşıks Worte am 21.11.17 im Oberlandesgericht München gewesen. Sie sprach ihr Plädoyer als verwitwete Ehefrau und Nebenklägerin des 8. Mordopfers des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) – Mehmet Kubaşık. Dieses…

„Ich will, dass die Angeklagten hier verurteilt werden, ich will, dass sie ihre verdiente Strafe bekommen… Hier im Prozess sind meine Fragen nicht beantwortet worden“, sind Elif Kubaşıks Worte am 21.11.17 im Oberlandesgericht München gewesen. Sie sprach ihr Plädoyer als verwitwete Ehefrau und Nebenklägerin des 8. Mordopfers des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) – Mehmet Kubaşık.

Dieses bereits jetzt schon historische Zitat der schmerzlichen Migrationsgeschichte Deutschlands verhallt im Eklat um das Scheitern der Sondierungsgespräche für die Jamaika-Koalition. Eines der wesentlichen Themen, die die Regierungsbildung zum Scheitern gebracht haben, war – wie soll es anders sein – die zukünftige Migrationspolitik. Seit dem 15.11.2017 läuft das Plädoyer der Nebenklage – weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Während andernorts Migrationsabwehr verhandelt wird, wehrt sich eine tapfere Frau mit Migrationsgeschichte im Oberlandesgericht in München. Es ist sehr lange schon still um den NSU Prozess geworden, Berichterstattung findet kaum statt.

Als Migrant_innenorganisation wundert uns dies nicht. Zwischen 2000 und 2006 wurden neun Menschen mit Migrationsgeschichte ermordet, Dutzende verwundet und traumatisiert, um dann von Ermittlungsbehörden und Medien als die Mörder_innen ihrer eigenen Familienangehörigen, ihrer Väter, ihrer Ehemänner, ihrer Kinder dazustehen. Verlassen. Verletzt. Verhasst. Es sollte sich dann am 4.11.2011 herausstellen, dass eine terroristische Neonaziorganisation diese öffentlichen Exekutionen ausgeführt haben soll. Es sollte sich desweiteren herausstellen, dass diese Neonazis mit den Sicherheitsbehörden der Bundesländer und des Bundes verwickelt sind und sogar von diesen finanziert und gestützt werden.

Der ganze Abgrund um Verhinderung von Ermittlungsarbeit, das Decken von V-Leuten und Verfassungsschutzangestellten, das Zeug_innensterben sowie um leere Versprechungen nach „lückenloser Aufklärung“, der sich danach aufgetan hat, ist allen, die nicht vergessen wollen, bekannt. Trotzdem ist es ein enttäuschendes Prozessende. So wie sich die bestialischen Morde samt ihrer Verstrickungen im Staatsapparat und die Auswirkungen für die Opfer bis zum Ende im OLG in München dargestellt haben, sind keineswegs Anerkennung, Schutz und Wiedergutmachung für die Opfer und ihre Angehörigen – und alle anderen Menschen, die rassistischer Gewalt ausgesetzt sind – zu erwarten. Wenig wurde über das Ausmaß an gewaltbereiten Neonazi-Netzwerken, die außerhalb der fünf Angeklagten, mitverantwortlich für die Morde sind, und deren Unterstützungskreise in den Sicherheits- und Polizeibehörden aufgeklärt. Die Hintergründe dieser Morde bleiben so vernebelt wie sie von Prozessbeginn an waren.

Von Beginn an waren aber auch Menschen mit Migrationsgeschichte und Migrant_innen-Selbstorganisationen an der Seite der Opfer, um diese Zustände und ihr schreckliches Schicksal gemeinsam anzuklagen – auch in Gewissheit, bald das 10. Opfer mit Migrationsgeschichte sein zu können.

Auch zum Prozessende werden wir wieder Schulter an Schulter mit den Überlebenden und den Angehörigen der Opfer des NSU stehen und nach München mobilisieren, um am womöglich traurigsten Tag der Nachkriegs-Einwanderungsgeschichte Deutschlands gemeinsam stark und laut zu sein.

Kontakt: Nadiye Ünsal, nadiye.uensal@mrbb.de

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