Offener Brief zivilgesellschaftlicher Akteure zur Ausschreibung der Werkstatt der Kulturen

Sehr geehrter Herr Kultursenator Dr. Lederer, über die Ausschreibung der Werkstatt der Kulturen vom 6.6.2019 sind wir zutiefst bestürzt. Wir sind enttäuscht darüber, dass Sie als Kultursenator und Ihre Senatsverwaltung für Kultur und Europa kein Interesse daran haben, die bisherige transkulturelle und dekoloniale Arbeit der Werkstatt der Kulturen zu würdigen und diese stattdessen nun als…

Sehr geehrter Herr Kultursenator Dr. Lederer,

über die Ausschreibung der Werkstatt der Kulturen vom 6.6.2019 sind wir zutiefst bestürzt. Wir sind enttäuscht darüber, dass Sie als Kultursenator und Ihre Senatsverwaltung für Kultur und Europa kein Interesse daran haben, die bisherige transkulturelle und dekoloniale Arbeit der Werkstatt der Kulturen zu würdigen und diese stattdessen nun als „Kulturstandort Wissmannstraße 32/ Neukölln“ in die Ausschreibung geben.

-> English version

In diesem Schritt erkennen wir eine hegemoniale Überheblichkeit, die bestehende Arbeit ignoriert und zivilgesellschaftliche Bemühungen missachtet. Kämen Sie auf die Idee, die Volksbühne auszuschreiben als: „Ausschreibung Kulturstandort Linienstraße 227/Mitte“?

Mit dieser Art von „Kulturpolitik“ machen Sie sich mitverantwortlich für die Marginalisierung und Unsichtbarmachung der migrantischen und postmigrantischen Stadtgeschichte!

Sie verschleiern die Signifikanz eines Kulturortes, an dem eine post- und dekoloniale Erinnerungskultur praktiziert worden ist, noch lange bevor Sie mit der aktuellen Koalition, eine postkoloniale Erinnerungskultur auf die Agenda Ihrer Kulturpolitik setzen konnten. Bereits 2003 begann sich die Werkstatt der Kulturen eingehend mit der deutschen Kolonialgeschichte zu beschäftigen und tut dies bis heute.

Durch Ihre Ausschreibung der Werkstatt der Kulturen als „Kulturstandort Wissmannstraße 32/ Neukölln“ behaupten Sie, es handele sich um einen neutralen Ort ohne Vorgeschichte. Für uns ist das ein deutliches Indiz dafür, dass es in Ihrer Senatsverwaltung bislang noch keine ernsthafte Beschäftigung mit der Werkstatt der Kulturen als Kulturstandort gegeben haben kann.

Postkolonialismus oder Dekolonialität sind nur in Verbindung mit Strategien des Empowerments und des Antirassismus zu verstehen: Die Werkstatt der Kulturen stellt ein einzigartiges Modell dar, bei dem marginalisierte und rassistisch markierte Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft einen Raum für Empowerment geboten bekommen. Der Migrationsrat Berlin e.V., einer der größten Dachverbände für Migrant*innenselbstorganisationen wurde in der Werkstatt der Kulturen gegründet.

Der Black History Month wird alljährlich in der Werkstatt der Kulturen ausgerichtet. Seit 2015 werden Refugee-Initiativen Räume zur Selbstorganisation bereitgestellt. Sie wird in aller Regelmäßigkeit gerne als Veranstaltungspartnerin für unzählige Migrant*innenselbstorganisationen angefragt, darunter die Initiative Salam Schalom, Amaro Foro e.V., die Neuen Deutschen Medienmacher e.V., und viele mehr.

Wir fragen den Senat für Kultur und Europa:

  • Welche anderen Berliner Kulturinstitutionen können eine derart langjährige und kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialgeschichte und kolonialen Kontinuitäten vorweisen?

  • Welche anderen Berliner Kulturinstitutionen stellen Orte des Empowerments und antirassistischer Praxis dar?

  • Welche anderen Berliner Kulturinstitutionen können eine vergleichbare enge Vernetzung mit Akteur*innen unterschiedlichster marginalisierter Communities vorweisen?

Trotz mehrmaligen Bemühungen und Gesprächsangeboten unsererseits bleibt ein Austausch auf Augenhöhe bis heute aus. Stattdessen setzt die Senatsverwaltung das zivilgesellschaftliche Bündnis und die Öffentlichkeit mit dieser Ausschreibung vor vollendete Tatsachen.

Wir fordern daher

  • Aussetzung des Ausschreibungsverfahrens bis ein transparentes, faires und partizipatives Verfahren unter Einbeziehung verschiedener Akteur*innen der Stadt gesichert ist.

  • Bereitstellung von Ressourcen für ein neues Antragsverfahren durch Bildung eines Konzepts, an dem die Expertisen marginalisierter Communities und Expert*innen postkolonialer Erinnerungskultur maßgeblich zum Tragen kommen. Hierbei sollen die zuständigen Community-Vertretungen einbezogen werden, um einen vielstimmigen Dialog zu ermöglichen.

  • Einbeziehung der bisherigen Akteur*innen der Werkstatt der Kulturen, um die vorhandene Expertise in die Weiterentwicklung der Werkstatt der Kulturen einzubinden.

  • Beendigung der Benachteiligung gegenüber anderen etablierten Kulturstätten, die nicht darauf angewiesen sind, ihre Programme durch Drittmittelakquise realisieren zu müssen. Das Beispiel Wekstatt der Kulturen zeigt, dass marginalisierte Kulturarbeit von Drittmittelakquise zwingend abhängig gemacht wird, welche personelle Ressourcen verschlingt, die für gestalterische Arbeit fehlen und die künstlerische Arbeit einschränken.

  • Die Neuaufstellung des Trägervereins in anderer Rechtsform mit klarer Perspektive für eine institutionelle Förderung, statt einer befristete Projektförderung. unabdinglich, nachhaltige rechtliche und institutionelle Strukturen zu gewährleisten.

  • Offenheit der Senatsverwaltung für Kultur und Europa für einen Dialog auf Augenhöhe mit einer diversitätskompetenten, intersektional aufgestellten Expert*innengruppe, die an der konzeptionellen Entwicklung der Werkstatt der Kulturen ernsthaft beteiligt wird.

Wir sind uns außerdem bewusst, dass der Standort der Werkstatt der Kulturen großes wirtschaftliches Potenzial birgt. Die Immobilie Wissmannstraße 32 befindet sich im Herzen Neuköllns, direkt an den Hermannplatz angebunden. Mit Blick auf die aktuellen Verdrängungsprozesse in diesem Kiez fragen wir uns:

  • Warum wird die Werktstatt der Kulturen nur für zwei Jahre ausgeschrieben?

  • Gibt es nachhaltige Pläne für den Erhalt und die Weiterentwicklung einer transkulturellen Kulturinstitution oder zielt die Ausschreibung implizit auf eine Zwischennutzung ab?

  • Was passiert mit der Immobilie Wissmannstraße 32? Wie wird sie verwaltet?

Als diskriminierungskritische zivilgesellschaftliche Akteur*innen haben wir großes Interesse, an der postkolionialen und transkulturellen Arbeit der Stadt sowie an der Zukunft der Werkstatt der Kulturen mitzuwirken. Wir sind bereit, die Senatsverwaltung und andere Institutionen der Stadt mit unserem Wissen und unseren Erfahrungen zu unterstützen. Dafür ist es jedoch unerlässlich, unsere Fragen und Einwände, die nicht zum ersten Mal an die Senatsverwaltung für Kultur und Europa ausgerichtet werden, ernst zu nehmen.

TRANSKULTUR – NICHT OHNE UNS!

Kontakt für Rückfragen & Interviews:

Ed Greve
0176 99 11 49 43