8. März 2021

Neutralität als Berufsverbot

Iris Rajanayagam

Das Bündnis #GegenBerufsverbot hat sich 2017 aus verschiedensten Organisationen und Einzelpersonen, die sich antirassistisch und antisexistisch engagieren, zusammengeschlossen. Ziel ist es, sich gemeinsam und community-übergreifend für die Abschaffung jeglicher diskriminierender Berufsverbote in Deutschland einzusetzen. Der Migrationsrat ist seit der Gründung ein aktiver Teil des Bündnisses.Der Auslöser für die Gründung des Bündnisses war zunächst das Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin vom 27. Januar 2005, auch „Neutralitätsgesetz“ genannt. Dies existiert seit 2005 und verbietet Menschen, die aus ihrem Glauben heraus sichtbare religiöse Kleidung tragen, den Zugang zu gewissen Berufen im öffentlichen Dienst, wie zum Beispiel bei der Polizei, in der Justiz und im Lehramt staatlicher Schulen. Das Gesetz ist zwar auf den ersten Blick tatsächlich „neutral“ formuliert; de facto stellt es jedoch ein Berufsverbot für muslimische Frauen* mit Kopftuch dar.

Ursprünglich war das Gesetz eine Reaktion auf die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung von 2003, die besagte, dass die Ablehnung einer Lehrerin mit Kopftuch nur dann mit der Verfassung vereinbar ist, wenn es dazu ein entsprechendes Gesetz auf Landesebene gibt. Denn Bildung fällt in den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer. Das heißt, das Gesetz wurde bereits mit der Absicht konzipiert, ein diskriminierendes Gesetz neutral zu formulieren – das „Kopftuchverbot“ sollte „verfassungskonform“ klingen.

Am 27. August 2020 bestätigte das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Berliner Landesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2017, dass ein pauschales Berufsverbot für muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch unrechtmäßig sei (Näheres dazu hier). Gegen den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts möchte die Berliner Bildungsverwaltung nun vorgehen. Die Pressemitteilung des Bündnisses findet sich hier.

Das Bündnis #GegenBerufsverbot möchte die Öffentlichkeit für die Schieflage in den hiesigen Debatten, um das Tragen eines Kopftuchs im öffentlichen Dienst sensibilisieren. Denn insbesondere aus intersektional-feministischer Perspektive ist das sogenannte Neutralitätsgesetz stark zu verurteilen.

In der Praxisarbeit der vielen Beratungsstellen im Bündnis hat sich neben der juristischen Begleitung auch das Bedürfnis nach umfassenderer Unterstützung in Form von Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnenführung herauskristallisiert. Eine der Aufgaben ist es deswegen, die Öffentlichkeit regelmäßig auf den neuesten Stand der Debatte rund um das Gesetz in Berlin zu bringen und Informationen zu aktuellen Gerichtsverfahren bereitzustellen.

Für muslimische Frauen* und Angehörige anderer religiöser Minderheiten bedeutet das sogenannte Neutralitätsgesetz nicht Neutralität, sondern ein Berufsverbot. Diese gesetzlich legitimierte Benachteiligung ist unvereinbar mit grundrechtlichen Prinzipien, insbesondere der Religionsfreiheit und der staatlichen Verpflichtung zur Gleichstellung. Obwohl das Gesetz vor allem muslimische Frauen* mit Kopftuch direkt betrifft, versucht das Bündnis sich so breit wie möglich aufzustellen. Daher ist die Zusammenarbeit mit verschiedenen Communitys und Akteur:innen ein zentrales Anliegen in der Arbeit des Zusammenschlusses.

Iris Rajanayagam ist Vorstandsmitglied beim Migrationsrat und vertritt ihn im Bündnis #GegenBerufsverbot.