18. Juni 2020

Legalisierung jetzt: Für ein sofortiges Legalisierungsprogramm für Menschen ohne Aufenthaltspapiere in Berlin

23 Abs.1 (AufenthG) eröffnet einen viel größeren Gestaltungsspielraum in Bezug auf die Zielgruppe, die von dieser Norm profitieren könnte, als bisher politisch gewährt und diskutiert wird.

In § 23 Abs.1. (AufenthG) heißt es, dass die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen kann, dass Ausländer_innen aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländer_innengruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Gemäß dem Wortlaut der Norm können nicht nur Menschen aus bestimmten Staaten in Deutschland aufgenommen, sondern auch bestimmten definierten Personengruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Das bedeutet, dass auch Menschen, die sich bereits in Berlin befinden und über keinerlei Aufenthaltsdokumente verfügen, durch eine entsprechende Anordnung der Landesbehörde ihren Aufenthalt in der BRD „legalisieren“ können.

Der Migrationsrat Berlin e.V. sieht darin die rechtliche Möglichkeit, ein Legalisierungsprogramm zu initiieren. Solch ein Programm stellt eine humanitäre Antwort auf die rechtlich und sozial sehr prekäre Situation von zahlreichen in Berlin lebenden Menschen dar. Diese Einschätzung wird u.a. auch dadurchbekräftigt, dass vergleichbare Legalisierungs- bzw. aufenthaltsrechtliche Amnestieprogramme in anderen europäischen Ländern bereits rechtssicher durchgeführt wurden.

Bestehende Beispiele aus anderen EU-Ländern

Ein aktuelles Beispiel ist Portugal: Im Zuge der Corona-Pandemie hat die dortige Regierung ein Legalisierungsprogramm gestartet, um so Menschen  z.B. Zugang zur gesundheitlichen Versorgung und zu Arbeit zu schaffen. Das Programm betrifft Personen, die bereits im Asylverfahren sind oder eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt hatten. Des Weiteren ist die Aufnahme von 500 unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten aus Moria geplant.  Ein weiteres Beispiel ist Frankreich. 2006 beschloss die Regierung Sarkozy die Legalisierung von ca. 7000 Sans Papiers – darunter vor allem illegalisierte Familien. Die Parti Socialiste unter Hollande schuf ab 2012 eine landesweit vereinheitlichte Legalisierungsregelung, von der vor allem Personen, die seit mindestens fünf Jahren in Frankreich leben, Französisch sprechen, deren Kinder zur Schule gehen etc. profitieren konnten.

Bisherige Regelungen des deutschen Aufenthaltsrechts nicht ausreichend

Die existierenden Wege zur Erlangung eines Aufenthaltstitels jenseits von Legalisierungsprogrammen sind im deutschen Aufenthaltsrecht nicht ausreichend. Die in der Vergangenheit angewandten Altfall- und Bleiberechtsregelungen unterschieden sich von den erwähnten Programmen in anderen Ländern, da sie nur auf bestimmte Nationalitäten beschränkt waren und Antragsteller_innen eine Duldung besitzen mussten. Personen ohne jegliche Aufenthaltsdokumente konnten von diesen Regelungen also gar nicht profitieren. 

Trotz der Beispiele für Legalisierung von Menschen ohnen Aufenthaltspapiere, verweigern die Bundesregierung und die Landesregierungen in Deutschland eine humanitär begründete Aufenthaltsgenehmigung für illegalisierte Menschen. Diese Position fördert wiederum Ignoranz und Unwissenheit über die Lebenslage von illegalisierten Menschen. Die auf ordnungsrechtliche Argumente fixierte rassistische Debatte über Migration hat außerdem zur Folge, dass humanitär und menschenrechtlich begründete Rechtsnormen kein Gewicht bekommen, sondern Migration durch die politische Konstruktion von “erwünschter” und “unerwünschter Migration” als Verstoß gegen geltendes Recht kriminalisiert wird.

Menschenwürdiges Leben für alle ermöglichen!

Die tatsächlichen Lebensumstände und Rechte von Illegalisierten werden außer Acht gelassen. Migrations- und Geflüchtetenpolitik funktioniert in Deutschland nicht unter der Wahrung allgemein geltender Grund- und Menschenrechte, sondern durch extreme Kontrolle und Steuerung von Migration. Hierfür wurden rassistischen und diskriminierende Maßnahmen – wie etwa die von Bundes- und Landespolizeibehörden durchgeführten verdachtsunabhängigen Personenkontrollen, also das Racial Profiling – entwickelt, die im öffentlichen Raum und im Grenzgebiet der BRD an “ausländisch” aussehenden Personen durchgeführt werden. Racial Profiling verstößt allerdings gegen Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes.

Die extreme Kontrolle, die praktisch an jedem Ort, an dem Migrant_innen, Schwarze Menschen und People of Color mit Behörden in Kontakt treten, stattfinden, stellen eine massive Belastung besonders für illegalisierte Personen dar. Sie befinden sich in der schwierigen Situation, einerseits für Behörden “unentdeckt” zu bleiben, und andererseits für das eigene Auskommen und oft das der Familie Sorge tragen zu müssen. Dies geschieht oft durch informelle, maximal ausbeuterische Tätigkeiten im Bereich der privaten aber immer noch systemrelevanten Pflege- und Sorgearbeit, im haushaltsnahen Dienstleistungsbereich oder etwa der Gastronomie- und Baubranche. Gleichzeitig wird Illegalisierten das Recht auf Gesundheit, Wohnen und Arbeit verwehrt. Obwohl Rechtsansprüche auf gewisse soziale Leistungen bestehen, ist es  aufgrund der Kontrollen und Übermittlungspflichten in fast jeder öffentlichen Stelle praktisch unmöglich, diese zu nutzen.

“Permanenten Ausnahmezustand” beenden!

In einem Notfall und anschließendem Krankenhausaufenthalt ist die Frage der Übernahme bzw. der Verteilung der Kosten für alle Beteiligten nicht klar geregelt und sehr bürokratisch. Handlungsspielräume vor allem im Bereich der gesundheitlichen Versorgung sind sehr gering. Darüber hinaus besteht für Anbieter_innen von sozialen Diensten und Mitarbeiter_innen von Beratungsstellen das Risiko, selbst strafrechtlich belangt zur werden.

Die extreme Isolation und die damit einhergehenden sozialen und rechtlichen Ausschlüsse beschreiben illegalisierte Menschen oft als permanenten Ausnahmezustand. Es ist an der Zeit, auch in Deutschland eine Lösung zu finden.

Die in § 23 (1) AufenthG vorausgesetzten völkerrechtlichen und humanitären Gründe liegen ersichtlich vor. Diese Menschen sind hier und wollen bleiben. Es braucht nur noch eine Anordnung des Landes, die diese Personengruppe legalisiert und aus der Prekarität und Anonymität bringt, die sie besonders vulnerabel gegenüber Menschenrechtsverletzungen machen.

Kontakt für Rückfragen & Interviews:

Magdalena Benavente, Juristin der Härtefallberatung

E-Mail: magdalena.benavente [at] migrationsrat.de

Telefon/Mobil: 0157 31 65 71 82