Diversitätsabbau statt Barriereabbau?!

Weitere Warnzeichen für die Zukunft der Kulturellen Bildung in Berlin und Hinweise auf politische Einflussnahme sichtbar Ein Teil der Jury des renommierten Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung hat seinen Rücktritt erklärt. Begründet wird dies in einer Stellungnahme mit “aktuellen Entwicklungen u.a. innerhalb der Gremienarbeit”, darunter die Abschaffung ihres Stimmrechts. Die Kritik an den aktuellen Veränderungen steht in…

Projektfonds Kulturelle Bildung - Diversitätsabbau statt Barriereabbau?!

Weitere Warnzeichen für die Zukunft der Kulturellen Bildung in Berlin und Hinweise auf politische Einflussnahme sichtbar

Ein Teil der Jury des renommierten Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung hat seinen Rücktritt erklärt. Begründet wird dies in einer Stellungnahme mit “aktuellen Entwicklungen u.a. innerhalb der Gremienarbeit”, darunter die Abschaffung ihres Stimmrechts. Die Kritik an den aktuellen Veränderungen steht in Verbindung mit Kritik an den aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen, darunter “Kürzungen und den systematischen Abbau diversitätsorientierter Standards”. 

Auch wir erkennen in den Senats- und Parlamentsentscheidungen der letzten eineinhalb Jahre klare Muster für langfristig negative Entwicklungen: „Die diversitätsorientierten und diskriminierungskritischen Aufträge (siehe z.B. durch das LADG) der Verwaltung werden systematisch abgewehrt und abgebaut.“

Die zurückgetretenen Jurymitglieder des Projektfonds Kulturelle Bildung erheben in der uns vorliegenden Stellungnahme schwere und grundlegende Vorwürfe gegen die Kulturverwaltung sowie die Bildungs- und Jugendverwaltung: Sie prangern gravierende Eingriffe in die Unabhängigkeit der Jury, die systematische Untergrabung fachlicher Expertise und bisherigen Standards der kulturellen Bildung zugunsten von politischen Vorhaben und Verstöße gegen grundlegende Prinzipien demokratischer Mitbestimmung und Kunstfreiheit an. Diese Prinzipien haben bisher unabhängig von fachlichen Auseinandersetzungen die Arbeit der Jury und Erfolg des Projektfonds getragen.

Unseres Erachtens wäre es auch Aufgabe der Kulturverwaltung, den Projektfonds und die Juryarbeit vor den politischen Begehren der Bildungsverwaltung zu schützen und sogar weiterzuentwickeln.

Rechtsstaatlichkeit, Demokratieprinzip und Menschenwürde kommen in Deutschland überhaupt nur in ihrer Gemeinsamkeit zum Tragen. Neben den politischen Entscheidungen, die über den Haushalt betrieben werden, summieren sich die ‘Einzelfälle’ Befugnisse zurückzuziehen, in Aufgaben der Verwaltung, nachgeordneten Behörden oder – wie in diesem Fall – Stiftungen zu regieren oder Umgestaltung mit größeren Möglichkeiten der Einflussnahme voranzutreiben. Diese Entwicklungen werden der Berliner Landschaft Kultureller Bildung und damit unmittelbar den Bewohner*innen unserer Stadt nachhaltigen Schaden zuzufügen. Nicht nur künftige Fortschritte werden dadurch verhindert, sondern auch bisherige Errungenschaften, auf die sich die Berliner Zivilgesellschaft selbstverständlich verlassen möchte und auf die Menschen in unserer Stadt angewiesen sind, wieder zerstört.

Die erhobenen Vorwürfe erinnern an die heftigen Debatten um die Eingriffe der Bildungsverwaltung in die Unabhängigkeit der Landeszentrale für Politische Bildung und Äußerungen der Hausleitung bezüglich der einzurichtenden Stabsstelle Demokratiebildung, der ebenfalls umfassende Kompetenzen eingeräumt werden sollen, freie Träger der Zivilgesellschaft zu kontrollieren und auch jenseits von fachlicher Bewertung Förderentscheidungen zu treffen.

Auch die Ereignisse rund um die Förderentscheidungen zum Projekt “Setz dich neben mich” des Korea-Verband möchten wir in diesem Zusammenhang in Erinnerung rufen: Resolution der Fritz-Karsen-Schule: Demokratiebildung sichern: „Setz dich neben mich!“ fortführen!

Der Projektfonds Kulturelle Bildung fördert seit 2008 vielfältige Projekte und ermöglicht damit niedrigschwellige Bildungsangebote, die breiten Teilen der Stadtgesellschaft Zugang zu gleichberechtigter Teilhabe ermöglichen und damit auch den künstlerischen Austausch in dieser Stadt zugunsten aller befördern. Nicht selten sind durch den Projektfonds geförderte Projekte im Anschluss in die direkte Förderung aus dem Landeshaushalt übergehen, damit ihre gute Arbeit und ihr nachweislicher Erfolg langfristig für alle nutzbar und gesichert bleibt.

Getragen wird der Projektfonds Kulturelle Bildung von der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung – jener Stiftung, deren Abwicklung der Berliner Senat Ende 2024 durchsetzen wollte, im Abgeordnetenhaus damit jedoch scheiterte. Nach vehementen Protesten unter dem #unkürzbar-Slogan musste die Koalition einlenken, gestrichen wurden der Stiftung dennoch 20% ihres bisherigen Budgets. Die eigentlich angedachte Abwicklung wird dagegen weiter im Hintergrund verfolgt. 

Formale Grundlage für die kontinuierliche Arbeit des Projektfonds ist das ressortübergreifende Berliner Rahmenkonzept Kulturelle Bildung der SenBJF und SenKultGZ. Zuletzt wurde die Fortschreibung der Mittel im Rahmen des Doppelhaushalts 2022/23 durch die aktuelle Koalition beschlossen; erklärtes Ziel ist es, den “Wirkungsgrad des Projektfonds in der Breite zu erhöhen”; übergeordnet u.a. “Angebote erhalten, Kooperationen und Vernetzung stärken, neue Zielgruppen erschließen und strukturelle Barrieren auf allen Ebenen abzubauen”. Der 7. Fortschrittsbericht zur Umsetzung des Berliner Rahmenkonzepts hebt dabei insbesondere die positiven Entwicklungen unter Beachtung von Partizipation, Inklusion, Diversität und Prävention von Kinder- und Jugendarmut hervor.

Wir fordern Kultur-, Bildungs- und Jugendverwaltung dazu auf, umgehend und umfassend zu den genannten Vorwürfen Stellung zu nehmen sowie jegliche erkannte oder (noch) unerkannte Versuche einzustellen, politische Einflussnahme entgegen fachlicher Expertise im Bereich der Kulturellen Bildung und jeweiligen Sparten über Förderprogramme auf zivilgesellschaftliche Träger auszuüben. Insbesondere Einflussnahme jenseits von oder auf Basis geheimer Kriterien leistet mindestens Willkür Vorschub: Förderprogramme jeglicher Art dürfen nicht zum geheimen Geldbeutel der jeweiligen Hausleitung werden, um politische Vorhaben unbemerkt umzusetzen.

Wir fordern die Abgeordneten – insbesondere die jeweiligen Fachpolitiker*innen – auf, hier im Sinne der Verantwortlichkeit gegenüber dem Abgeordnetenhaus die Hinweise zu prüfen und im Sinne des demokratischen Auftrags Informationen zu sammeln und zu prüfen, kritische Nachfragen zu stellen und Transparenz und Partizipation herzustellen.

Wir rufen darüber hinaus die Mitglieder der Ressortübergreifenden Arbeitsgruppe, Kolleg*innen aus der Fachverwaltung, sowie Mitglieder des Beirats des Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung und ehemalige Jurymitglieder selbst dazu auf, sich für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Standards auf Basis diskriminierungskritischer Evaluationen einzusetzen.

Wir hoffen auf kritische Berichterstattung und stehen für Rückfragen sowie Interviews gerne zur Verfügung.

Kontakt für Rückfragen:
Ed Greve, Referent für Antidiskriminierung
Mail: ed.greve [at] migrationsrat.de
Mobil: 0176 99114943