16. Dezember 2021

«Energieausgleich» im Ehrenamt

Oumar Barry

Oumar Barry engagiert sich seit 2013 in unterschiedlichen sozio-politischen Einrichtungen und Initiativen

Ehrenamtliche Tätigkeiten sind seit jeher und in jeder Gesellschaft willkommen und unterstützenswert. Die Hauptmotivation für mein ehrenamtliches Engagement ist spiritueller Natur. Es gehört zu mir, zu meiner Erziehung und Lebensphilosophie. Als Muslim ist es mir sehr wichtig, Zeit und Energie für die Nächstenliebe zu investieren. In Berlin gibt es viele Möglichkeiten, sich ehrenamtlich zu engagieren. Berlin ist, was das Thema Ehrenamt betrifft, sehr solidarisch. Durch Corona ist die Solidarität intensiver und bewusster geworden, denn die Achtsamkeit und die Aufmerksamkeit ist gestiegen. Es ist bewusstgeworden, wie alles mit allem verbunden ist und wie klein die Welt doch ist. Solidarität und Zusammenhalt sind wichtig für ein gemeinsames Miteinander, jederzeit und überall.

Der Ausspruch des Propheten Muhammed – «Der Beste unter den Menschen ist derjenige, der seinen Mitmenschen am nützlichsten ist», ist meine Maxime, wenn es darum geht, meinen Mitmenschen behilflich zu sein. Es ist die Nahrung der Seele, dessen Heil verbunden ist mit der kleinsten körperlichen Zelle und dem Umfeld, in dem man lebt. Damit möchte ich sagen, dass alles mit allem verbunden ist und der Mensch, der hilfreich und nützlich ist, im Grunde sich selbst hilft und nutzt. Wenn wir Menschen glücklich machen können, dann geben wir ihnen das, was wir auch für uns selbst wünschen. Wenn alle nur so viel helfen und unterstützen würde, wie es ihnen möglich ist, würde dies zu einer zufriedeneren und gerechteren Gesellschaft führen. Die Belohnung für die Hilfe, das Schenken bzw. Geben bekommen wir in immaterieller Form zurück. Das ist mein Verständnis vom «Energieausgleich». Nützlich zu sein, ist für mich so selbstverständlich wie das Essen und Trinken.

Genauso wichtig ist es aber auch, sich über die Probleme und Gefahren des Ehrenamts bewusst zu sein. Da würde ich beispielsweise unterscheiden zwischen der individuellen und der kollektiven Ebene. Auf der individuellen Ebene ist es sehr wichtig, sich über seine eigenen Grenzen bzw. Kapazitäten bewusst zu sein. Denn es kann schnell zu einer Überlastung kommen, die die Engagierten selbst krankmacht. Wenn das Gefühl der Empathie zu groß ist – oder man hochsensibel ist –, gibt man mehr als man Ressourcen hat.

Dazu kommt dann auch die Zusammenarbeit und Absprache mit anderen Engagierten. Die Arbeit in einer Gruppe kann zwar sehr motivierend sein und glücklich machen, es ist aber auch eine Herausforderung, Absprachen zu halten und Verständnisse auf denselben Nenner zu bringen. Oft haben Helfende selbst negative Lebenserfahrungen, die sie dann hinter sich gelassen haben und nun ihre Dankbarkeit in Form des Ehrenamts ausleben. Dabei reicht es leider nicht aus, wohlwollend zu sein, es bedarf auch einer gewissen Feinfühligkeit und Seriosität. In Bezug auf das Ehrenamt in der Obdachlosenhilfe kommt dazu, dass die Mittel- und Obdachlosen hoffnungslos, physisch und psychisch belastet sind.

Für Vereine, Initiativen bzw. Einrichtungen, die mit öffentlichen Geldern für Ehrenamt werben oder Projekte auf die Beine stellen, kann es mit der Zeit selbstverständlich werden, dass ehrenamtlich Engagierte «funktionieren» müssen. Damit wird die Zeit und Energie der Engagierten sehr beansprucht. Dann kann es dazu kommen, dass sich automatisch die Zeit verlängert, die Aufgaben sich vermehren und viel mehr erwartet wird. So etwas hält die Menschen manchmal davon ab, sich langfristig zu engagieren. Das finde ich sehr schade!

Eine große Herausforderung sind die seelischen Verletzungen zu vermeiden, sich zu schützen. In den letzten Jahrzehnten haben viele neue Befunde der Quanten-Physik altes Wissen und alte Weisheiten belegt: Gedanken sind Energie und Wörter Energieträger. Das große Problem, das ich oft erfahre, ist der Umgang mit Menschen, die das Privatleben nicht respektieren. Manche haben sogar gute Absichten und Empathie, aber sie ignorieren, dass sie «Energie Vampirismus» üben.

Abschließend möchte ich sagen, dass Machtstrukturen und Hierarchien leider neben den Verletzungen auch Diskriminierung fördern und dies auch bei ehrenamtlichen Tätigkeiten der Fall ist. Auch Maßnahmen für langfristige Lösungen werden nicht umgesetzt. Der jeweilige Ursprung von Problemen, ob systematischer oder menschlicher, wird nicht beachtet. Ich wünsche mir, dass alle ihre eigenen Freiheiten, inneren Frieden und Ressourcen recherchieren, denn nur so kann sich die Gesellschaft zum Besseren verändern – und damit würde sich auch die Welt verändern. Denn jeder Mensch sucht nach Glückseligkeit und alle machen das nach ihrer eigenen Façon.

Oumar Barry engagiert sich seit 2013 in unterschiedlichen sozio-politischen Einrichtungen und Initiativen, u.a. bei der Caritas, Diakonie, beim B.U.N.D., bei den Johannitern, in Kirch- und Moscheegemeinde (Flüchtlingshilfe, Nachhilfe, Übersetzungen, als Sprachlehrer und Begleiter…), aber auch bei der Tafel e.V., erst in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, seit zwei Jahren auch in Berlin, wo er seit zwei Jahren im Nachbarschaftshaus Urbanstraße in der Nachbarschaftshilfe, in Gartenkolonien, im Foodsharing und in der Obdachlosenhilfe aktiv ist.

 

Das Logo von"Berlin / Europäische Freiwilligenhauptstadt 2021"Berlin ist im Jahr 2021 Europäische Freiwilligenhauptstadt – mit dem Titel würdigt das Europäische Freiwilligenzentrum (Centre for European Volunteering), was Berlin und seine Menschen im freiwilligen Engagement und Ehrenamt leisten. Das Aktionsjahr 2021 steht unter dem Motto #EntdeckeDasWirInDir. Der Migrationsrat Berlin e.V. ist Projektpartner im Aktionsfeld «Migration und Teilhabe». Der Beitrag ist im Rahmen unseres Dossiers «Ehrenamt» entstanden und und wurde im Rahmen der Europäischen Freiwilligenhauptstadt von der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa, dem betterplace lab und der Berliner Senatskanzlei gefördert.