8. März 2021

Psychische Gesundheit für Betroffene von (Mehrfach-) Diskriminierung und Gewalt

Was kann eine Beratungsstelle leisten? Was muss darüber hinaus geschehen?

LesMigraS

Die Lesbenberatung Berlin ist eine psychosoziale Beratungsstelle, die gemeinsam mit ihrem Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich LesMigraS Unterstützung für LSBTIQ+ Menschen bietet. Unser Angebot umfasst intersektionale psychologische Beratung, Rechtsberatung, und die Organisation von Workshops, Gruppen und Veranstaltungen rund um die Themen Empowerment, Mehrfachdiskriminierung, Gewalt und Rassismus. Seit über 20 Jahren konzentriert sich LesMigraS hierbei vor allem auf Schwarze, migrantische, indigene, und/oder geflüchtete LSBTIQ+ Menschen. Auf Basis von Diskriminierungserfahrungen innerhalb der Gesamtgesellschaft leiden unsere Nutzenden häufig unter Ängsten, Depressionen, sozialer Isolation, post-traumatischen Belastungsstörungen und damit verbundenen Suizidversuchen. Unter geflüchteten Menschen prägt sich dieses Muster deutlicher aus als unter nicht geflüchteten Menschen.

Auch wenn das Gesundheitssystem eigentlich für alle Menschen zugänglich sein sollte, zeigt unsere jahrzehntelange Erfahrung, dass LSBTIQ+ Menschen, die Mehrfachdiskriminierung erfahren, erschwerte Zugänge zur psychologischen Gesundheitsversorgung haben. Grund hierfür sind in der Regel diskriminierende Strukturen und Prozesse innerhalb des Gesundheitssystems. Da die europäische Kolonialgeschichte und damit verbundene wirtschaftliche Strukturen bisher inadäquat aufgearbeitet wurden, operieren auch Versorgende der psychischen Gesundheit mit Menschenbildern, die ihnen gesamtgesellschaftlich beigebracht wurden. In Bezug auf Rassismus und Migration bedeutet dies zum Beispiel, dass auch viele Behandelnde der festen Überzeugung sind, dass Deutsche “entwickelter” seien als Menschen aus nicht-europäischen Kulturkreisen, sprich intellektuell und kulturell überlegen. Als Argument wird hierfür in der Regel der finanzielle Wohlstand in Deutschland genutzt, was ein Indikator dafür sein soll, dass es hier richtig läuft, während andere Kulturen sich noch „entwickeln“ müssen (sog. “Entwicklungsländer”), bzw. auf der Schwelle der Entwicklung stehen (sog. “Schwellenländer”). Was jedoch außer Betracht gelassen wird, ist, dass sowohl der deutsche als auch der europäische Wohlstand tief in Genoziden und jahrhundertelangen Raubzügen verwurzelt sind, für die auf globaler Ebene weder Entschuldigungen noch Reparationszahlungen stattgefunden haben. Ebenso mangelt es an Aufklärungsarbeit an Schulen und Universitäten, in denen angemessen über vergangene Gräueltaten unterrichtet wird, um den deutschen und europäischen Reichtum und die damit verbundene vermeintliche Überlegenheit aus globaler Menschenrechtsperspektive zu de- und rekonstruieren.

Die Folgen hiervon für unsere Nutzenden sind fatal. Institutionen die ihrer psychischen Gesundheit eigentlich zu Gute kommen sollten, verschlimmern die Situation häufig nur. Während therapeutische Räume Schutzräume sein sollten, müssen sich unsere Nutzenden selbst dort rechtfertigen, erklären und verteidigen, um der ihnen entgegengebrachten Herablassung und Ignoranz die Stirn zu bieten und Gehör zu bekommen. Klassistische Zugangsvoraussetzungen zur Therapierendenausbildung erschweren diesen Prozess nur. Während die Mehrheit der Ausbildungen und Studiengänge entweder vergütet oder staatlich subventioniert wird, können Menschen in Deutschland nur dann Psychotherapie erlernen, wenn sie es schaffen, vielfältige finanzielle Hürden zu überwinden, die sich auf Kosten im mittleren 5- bis hin in den 6-stelligen Bereich nach einem erfolgreich absolvierten Studium summieren. Hierdurch gibt es in der Regel sehr wenig Schnittstellen zwischen den Lebensrealitäten von Menschen, die psychische Gesundheitsversorgung anbieten, und den Menschen, die sie in Anspruch nehmen wollen oder müssen – vor allem wenn es um Menschen geht, die Mehrfachdiskriminierung erfahren.

Entsprechend bekommen wir als Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich sehr häufig Beschwerden über Therapierende und damit verbundene Anfragen nach Listen von Therapierenden, die sensibel sind in Bezug auf strukturelle Diskriminierungsformen wie Rassismus, Transfeindlichkeit und/oder Ableismus. Als intersektionale psychosoziale Beratungsstelle versuchen wir diese Bedarfslücke zu füllen, so gut es geht, können als NGO jedoch nicht sämtliche strukturelle Mängel beheben, die tiefgreifende Maßnahmen fordern. Neben einer Integration der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte in das Standardcurriculum aller Schulen, Universitäten und Therapieausbildungen bedarf es einer drastischen Diversifizierung der Einstellungspolitik im therapeutisch-psychologischen Gesundheitssystem, vor allem auf den Ebenen, die bisher noch durch finanzielle Hürden und Diskriminierung in Einstellungsprozeduren homogen gehalten werden. Diese Maßnahmen sind dringend nötig, um einerseits das wachsende Leid und die legitime Frustration von Menschen aufzufangen, die Mehrfachdiskriminierung erfahren, und andererseits, um dem steigenden Rechtsdruck entgegen zu wirken, um internationalen Konflikten, Bürgerkriegen und weiteren Genoziden vorzubeugen.