22. April 2020

Menschen mit unsicherer Aufenthaltsperspektive vor massenhaftem Verlust ihrer Aufenthaltstitel schützen!

Seit nun vier Wochen hält die Corona-Pandemie auch Deutschland in Anspannung. Das Ende ist nicht in Sicht. Menschen fürchten zu Recht um ihre Lebensgrundlagen, ihre Arbeit, ihre Zukunft. Wirtschaftswissenschaftler*innen sagen eine Rezession voraus. Schon jetzt überschlagen sich Meldungen über strauchelnde Unternehmen, Hilferufe von Soloselbständigen und kleinen und mittleren Unternehmen.

Auch globale Player wie Lufthansa bitten um die rettende Hand des Staates. Die aktuelle Krise und die aktuellen Verfügungen/Verordnungen der Politik – ob von Land oder Bund – treffen viele Unternehmen und Arbeitnehmer*innen im Dienstleistungsbereich. Viele Arbeitsplätze werden verloren gehen, es wird einige Zeit dauern, bis die Wirtschaft sich erholt hat und Menschen wieder im Arbeitsmarkt ihren Platz gefunden haben.

Menschen mit unsicherer Aufenthaltsperspektive völlig ignoriert

In der Berichterstattung wird die Situation von Menschen mit unsicherer Aufenthaltsperspektive, die in Deutschland leben und arbeiten, völlig ignoriert. Sie arbeiten in allen Sektoren, sie sind Angestellte, Auszubildende, Selbständige oder Unternehmer*innen. Sie werden genauso hart, manche gar stärker von der Corona-Krise getroffen. Wenn Menschen mit unsicherer Aufenthaltsperspektive, ihre Arbeit verlieren oder in Konkurs gehen, verlieren sie in den meisten Fällen auch ihre Aufenthaltstitel. Die Allgemeinverfügungen, die das Land Berlin bislang erlassen hat, greifen hier zu kurz und berücksichtigen nicht alle Menschen und deren Aufenthaltssituationen:

Der Besitz, die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels ist von der Lebensunterhaltssicherung bzw. von einem konkreten Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz abhängig. Auch dürfen keine öffentlichen Mittel bezogen werden. Aus diesen Gründen werden voraussichtlich außergewöhnlich viele Menschen ihre Aufenthaltstitel verlieren und Deutschland verlassen müssen – oder sie werden abgeschoben.

Dazu kommt, dass diese Menschen aktuell ihre Einspruchs-, Widerspruchs- und Beratungs-Rechte nicht wie üblich wahrnehmen können. Es gibt infrastrukturelle und technische Schwierigkeiten, geforderte Dokumente und sonstige Nachweise, an denen der Aufenthalt geknüpft ist, zu erbringen. Vor diesem Hintergrund fordert der Migrationsrat Berlin den Berliner Senat auf, Maßnahmen zu ergreifen, Menschen vor dem Verlust ihrer Aufenthaltstitel zu schützen.

Die aktuelle Krise erfordert insbesondere:

1. Das Landesamt für Einwanderung (LEA) soll als erste Maßnahme allen Menschen die Aufenthaltsgestattung, Duldung bzw. den Aufenthaltstitel bis zur Beendigung der Corona-Einschränkungen und darüber hinaus mindestens ein Jahr unbürokratisch verlängern.

Darunter verstehen wir:

  • Alle Aufenthaltspapiere müssen ohne Unterschied automatisch verlängert werden, solange alle Standorte des LEA für den Besuchsverkehr geschlossen bleiben, alle bereits vereinbarten Termine entfallen und neue Termine nicht vergeben werden.
  • Bei Personen, die mittelbar oder unmittelbar auf Grund der Corona-Pandemie ihre Arbeit verloren haben und deren Aufenthaltstitel davon abhängig waren, sollen im besten Fall eine Fiktionsbescheinigung oder ein Arbeitsuche-Visum erhalten. Die Erteilung soll unabhängig vom Bezug von Leistungen oder der Lebensunterhaltssicherung erteilt werden.
  • Bei Personen, die neben dem Bezug von Kurzarbeitergeld zusätzlich ergänzende Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII bzw. AsylbLG beziehen, soll auf das Erlöschen der Aufenthaltstitel verzichtet werden. Entgegen der Allgemeinverfügung des Landesamtes für Einwanderung sollen diese Maßnahmen mindestens bis Sommer 2021 gelten.
  • Aufenthaltstitel zu Studienzwecken, die mit der Inanspruchnahme von Sozialleistungen erlöschen, müssen entgegen dieser Bestimmung weiter bestehen. Die Verlängerung soll zunächst unabhängig von der Sicherung des Lebensunterhalts geschehen.
  • Bei Verlust des Ausbildungsplatzes soll Menschen mit einem Aufenthaltstitel zu Ausbildungszwecken ein Visum für die Suche eines Ausbildungsplatzes erteilt werden, auch ohne Sicherung des Lebensunterhalts. Menschen mit einer Ausbildungsduldung dürfen ihre Duldung nicht verlieren und müssen eine großzügige Frist – mindestens ein Jahr – für den Beginn einer neuen Ausbildung bekommen.
  • Insbesondere können die Bedingungen für die Beschäftigungs- und Ausbildungsduldung wie Identitätsnachweis in sechs Monaten nicht erbracht werden. Es ist davon auszugehen, dass die Behörden der Herkunftsländer dieser Menschen entweder in Zwangspause sind oder zur Bekämpfung der Covid19-Pandemie eingesetzt werden. Der Identitätsnachweis muss auf die Zeit nach Bekämpfung der Pandemie weltweit verschoben werden.
  • Bei Verlängerung von Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG soll von Bedingungen wie die Sicherung des Lebensunterhalts, des Arbeitsplatzes, einer Ausbildung, von Schulleistungen usw. abgesehen werden.
  • Da wesentlich mehr Fallkonstellationen möglich sind, soll der Senat zusammen mit dem LEA weitere Möglichkeiten und alle Ermessensspielräume im Sinn der betreffenden Personen prüfen.

2. Die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, die Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, der Senator für Inneres sowie die Integrationsbeauftragte des Senats müssen zusammen ein Maßnahmepaket zugunsten der Menschen schnüren, die in finanzielle Not, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit geraten.

3. Es ist ein Gebot der Stunde, dass diesem Personenkreis alle Zugänge zum Arbeitsmarkt und zur umfassenden Gesundheitsversorgung geöffnet werden.

4. Eine Beschulung zuhause ist in Unterkünften kaum möglich. Die Schulen und die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie müssen diesem Umstand gerecht werden und den Schüler*innen eine adäquate Beschulung ermöglichen.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Kontakt für Rückfragen & Interviews:

Magdalena Benavente, Juristin der Härtefallberatung

E-Mail: magdalena.benavente [at] migrationsrat.de

Telefon/Mobil: 0157 31 65 71 82