20. Februar 2020

Zum rassistischen Terroranschlag in Hanau

In Hanau hat am späten Mittwochabend ein mutmaßlich weiß-deutscher Staatsbürger erst neun Menschen ermordet und später offenbar seine Mutter und dann sich selbst erschossen. Die Berichterstattung weist auf ein rassistisches Tatmotiv hin. Wir trauern mit den Hinterbliebenen der Ermordeten und erwarten konsequentes Einschreiten gegen jede Form von Rassismus.

Trauer vermischt mit Wut

Wir sind wütend: Über die hessischen Behörden und deren kontinuierliche Vernachlässigung rechtsextremer und rassistischer Bedrohungslagen. Wir haben die Drohbriefe an die Rechtsanwältin Seda Başay-Yildız durch den „NSU 2.0“ ebensowenig vergessen wie deren später aufgedeckten Verbindungen zur hessischen Polizei. Auch die Frage danach, wie der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der Neonazi Stephan Ernst, den Sicherheitsbehörden als harmlos erscheinen konnte, ist nach wie vor ungeklärt. Nun also stehen wir vor einem weiteren Scherbenhaufen, der nicht zuletzt durch die permanente Verweigerungshaltung der Politik, sich aktiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu stellen, verursacht wurde.

Enttäuschende Berichterstattung

Aber auch die mediale Berichterstattung lässt uns wieder und wieder erschaudern: So finden wir auch dieses Mal wieder Schlagzeilen, die von einer „Schießerei“ statt einem Terroranschlag, von einem „wirren“ Bekennerschreiben statt einem rechtsextremen, hassvollen Bekennerschreiben, oder von wahlweise „Ausländer-“ oder „Fremdenfeindlichkeit“ statt Rassismus sprechen. Auch im Jahr 2020 scheint es für Massenmedien interessanter zu sein, über tatsächliche oder vermeintliche Staatsangehörigkeiten von Mordopfern zu spekulieren und ihnen „Fremdheit“ zuzuschreiben, anstatt die Motive des Täters klar und eindeutig zu benennen.

Rassistische Kontinuitäten

Gab es gar keine Lehren aus dem Terror des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds? Aus den über zehn Jahre andauernden Ermittlungsfehlern ebenso wie falschen und gefährlichen Medienberichten? Gibt es keine Lehren aus den andauernden Angriffen auf die Unterkünfte von Geflüchteten, auf Moscheen und Synagogen, auf Frauen, die als muslimisch erkannt werden, aus Hetzjagden und den Enthüllungen um neonazistische Netzwerke in Polizei- und Verfassungsschutzbehörden oder in der Bundeswehr?

Es ist an der Zeit, den tief verwurzelten Rassismus, auch den in Institutionen, beim Namen zu nennen und alle staatliche und gesellschaftliche Energie auf seine Bekämpfung zu lenken. Es ist nicht so, dass die permanente Thematisierung von «Islam», «Muslim_innen», «Shisha-Bars», «Großfamilien» oder «Clan-Kriminalität» durch faschistische wie demokratische Politiker_innen, Ermittlungsbehörden, in Talkshows wie in einer vermeintlich besorgten Zivilgesellschaft eine harmlose Meinungsäußerung ohne Opfer wäre. Meinungsfreiheit [Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit], wenn sie keine Floskel sein soll[en], die nur Stigmatisierung begründet, fängt dort an, wo es Achtung vor dem Leben von real existierenden Menschen gibt, wo Religionsfreiheit, Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit und das Recht auf ein unversehrtes Leben garantiert sind. Selbst wenn der Mörder von Hanau tatsächlich ein Einzeltäter gewesen sein sollte, wie innerhalb weniger Stunden verlautete, fand seine Tat nicht im luftleeren Raum statt.

Kontakt für Rückfragen & Interviews:

Ed Greve, Politischer Referent

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