6. Mai 2019

5 Fragen zum Landesantidis­kriminierungsgesetz (LADG)

[:de]Die rot-rot-grüne Regierung verspricht im Koalitionsvertrag: Es wird ein Landesantidiskriminierungsgesetz geben. Zuletzt haben sich auch Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) sowie SPD-Fraktionssprecherinnen Susanne Kitschun und Ülker Radziwill dem Migrationsrat gegenüber geäußert. Sie sind sich einig: Es wird höchste Zeit für ein Antidiskriminierungsgesetz in Berlin. Warum wir und viele weitere Berliner Verbände und Projekte schon seit 2009 ein solches Gesetz fordern und was wir alle uns davon erhoffen können, haben wir hier noch einmal kurz zusammengefasst.

Aktuell: Der Senat hat am Dienstag, den 04.06.2019 nach Vorlage von Justizsenator Behrendt einen entsprechenden Entwurf beschlossen. Dieser kann nun im Abgeordnetenhaus beschlossen werden.

 

⭓  Warum braucht Berlin ein LADG?

Berlin braucht ein Landesantidiskriminierungsgesetz (kurz: „LADG“) als wirksames Instrument zum Schutz gegen Diskriminierung im Sinn der Betroffenen.

Das für ganz Deutschland geltende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (kurz: AGG) regelt vor allem Fälle von Diskriminierung im privatrechtlichen Bereich, also zum Beispiel zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmer*innen, oder zwischen Kaufhäusern und Käufer*innen. Meistens kann man dort, wo durch die Behörden von Bundsländern diskriminiert wird, nicht mit dem AGG arbeiten: Beispielsweise in Schulen, Ämter, bei der Polizei, in der Justiz und im Gesundheitsbereich.

„Das heißt nicht, dass Lehrer*innen, Polizist*innen oder [andere] Beamt*innen diskriminieren dürfen. Artikel 3 des Grundgesetzes sagt deutlich: Diskriminierung durch den Staat ist verboten. Schon jetzt kann dieses Recht vor Gericht eingeklagt werden. Aber aus der Praxis wissen wir: Solche Verbote brauchen Begleitregelungen, damit sie mehr Wirkung erzielen und von Diskriminierung Betroffene ihre Rechte in Anspruch nehmen.“ (Aus: „Wenn der Staat diskriminiert – Berlin braucht eine Antidiskriminierungskultur!“, Antidiskriminierungsreport 2014–2015, ADNB des TBB)

⭓  Seit wann wird an dem LADG gearbeitet?

Schon 2009 regten Verbände und Projekte wie das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin (ADNB des TBB) und der Migrationsrat an, ein Berliner LADG zu diskutieren. Dieses müsse weitreichender sein als der Schutzrahmen des AGG. Das Land Berlin sollte endlich in seinem Zuständigkeitsbereich (etwa Schule, Polizei, Justiz etc.) effektive Regeln gegen Diskriminierung einführen. 2015 brachte die damalige Opposition aus Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE und Piraten-Partei einen Antrag zum Beschluss eines LADG ein, der allerdings abgelehnt wurde. Im Koalitionsvertrag der jetzigen rot-rot-grünen Regierung wurde endlich festgelegt: Ein LADG muss her!

⭓  Welche konkreten Verbesserungen wird das LADG bringen?

Nach aktuellem Stand sieht der LADG-Entwurf u.a. folgende Verbesserungen vor:

Schließung bestehender Rechtsschutzlücken

Diskriminierung im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Handelns, also durch Ämter, wird verboten. Der Diskriminierungskatalog umfasst (mindestens):

  • Geschlecht;
  • ethnische Herkunft;
  • rassistische Zuschreibung;
  • Nationalität;
  • Religion und Weltanschauung;
  • Behinderung und/oder chronische Erkrankung;
  • Lebensalter;
  • sexuelle Identität (sic!);
  • sozialer Status.

Noch offen ist die Forderung, Diskriminierung in Bezug auf Sprache anzuerkennen. So verweigern z.B. bestimmte Wohnungsbaugesellschaften den Vertragsabschluss mit der Begründung mangelnder Sprachkenntnisse und Schulen erlassen Erstsprachverbote, z.B. für den Schulhof.
Außerdem erwarten wir eine Korrektur des Begriffs „sexuelle Identität“ zu „sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität“, um eindeutig Diskriminierung gegen trans- und intergeschlechtliche Personen als rechtswidrig zu erklären.

Möglichkeit der Verbandsklage

Prozesse gegen erlebte Diskriminierung zu führen, ist für Privatpersonen oft sehr aufwändig (nicht zuletzt auch finanziell), langwierig und belastend. Mit dem LADG wird es anerkannten Verbänden möglich sein, mit Unterstützung der Betroffenen gegen Diskriminierung durch staatliche Einrichtungen zu klagen.

Beweislastumkehr für Betroffene

In den seltensten Fällen geschieht Diskriminierung eindeutig und offensichtlich nachweisbar. So heißt es beispielsweise in einer Ablehnung bei der Wohnungssuche meistens nur, die Wohnung sei anderweitig vergeben worden. In Testing-Verfahren kann dann herausgearbeitet werden, dass die Ablehnungen überwiegend an Personen gehen, deren Nachname aus Sicht der Wohnungsgesellschaft einen „Migrationshintergrund“ nahelege. Betroffene sollen daher ihr Anliegen glaubhaft vorbringen – die Beweislast, dass keine Diskriminierung vorliegt, läge dann bei der beklagten Institution.

Einführung struktureller Diversity-Maßnahmen

Durch Maßnahmen wie Nachteilsausgleiche, Schulungen in Behörden u.a. soll Diversität gefördert und Menschen mit (Mehrfach-) Diskriminierungserfahrungen der gleichberechtigte Zugang zu Institutionen erleichtert werden.

Schadensersatz

Für die erlittene Diskriminierung können Betroffene Schadensersatz erhalten.

Antidiskriminierungs-Ombudsstelle

Zur Unterstützung und Beratung Betroffener zur Durchsetzung ihrer Rechte nach dem LADG soll eine Antidiskriminierungs-Ombudsstelle eingerichtet werden. Über die genau Ausgestaltung der Ombudsstelle wird noch viel diskutiert: Wir erhoffen uns umfassende Befugnisse für die Stelle, wie z.B. das Recht zur Akteneinsicht, die Kompetenz, Stellungnahmen von Behörden abzufragen und die Befugnis, nicht nur Handlungsempfehlungen auszusprechen, sondern auch die Umsetzung zu überprüfen.

Landesprogramm?

Darüber hinaus werden im Entwurf zum LADG „landesweite Maßnahmen zur Förderungen einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt in der Berliner Verwaltung“, sowie ein weiteres Landesprogramm erwähnt. Konkretisiert wird dies allerdings nicht.

Unserer Auffassung nach braucht es finanzielle Unterstützung bei Klagen, Schulungen für die Behörden sowie eine umfassende Öffentlichkeits- und Informationskampagne, die über die neuen gesetzlichen Regelungen informieren. Nur wenn Menschen Kenntnis über ihre Rechte haben, sind sie in die Lage ihre Rechte einzufordern und durchzusetzen. Die Erfahrungen mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zeigen, dass auch nach 12 Jahren viele Betroffene ihre Rechte nicht kennen.

⭓  Es gibt doch schon ein Landesgleichstellungsgesetz (kurz „LGG“) – wozu jetzt ein LADG?

Das Landesgleichstellungsgesetz regelt die Förderung von Frauen, die in der Verwaltung des Landes Berlin arbeiten, und soll ihre Arbeitssituation verbessern. Siehe dazu das Faltblatt der Abteilung Frauen (Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung).

Eine weitere Antidiskriminierungsregelung stellt das Landesgleichberechtigungsgesetz („LGBG“) dar. Das Gesetz schafft konkrete Verpflichtungen für den Berliner Senat und die Verwaltungen zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung.

Darüber hinaus sieht das Grundgesetz („GG“) die allgemeine Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz vor (Art. 3 GG, Abs. 1). Darüber hinaus sieht es explizit die Gleichberechtigung von Männern und Frauen vor und hält die Verpflichtung des Staates fest, die Durchsetzung ihrer Gleichberechtigung zu fördern (Art. 3 GG, Abs. 2).

Das LADG regelt die Situation von Personen, die mit der Verwaltung zu tun haben (z.B. bei Behördengängen, in der Schule, bei Kontrollen durch Polizei usw.) und unterstützt diese bei Diskriminierung, die von Bediensteten des Landes oder durch strukturelle Regelungen ausgehen.

Das LADG sieht umfassenden Diskriminierungsschutz für viele von Diskriminierung und Mehrfachdiskriminierung Betroffene vor, darunter auch ältere Schwarze Frauen, lesbische Frauen mit Behinderungen, u.v.m.

Vom Grundgesetz über das AGG bis zum LGG, dem LGBG und weiteren Gesetzen darüber hinaus gibt es verschiedene Regelungen, die sich gegen Diskriminierung wenden. Keines dieser Gesetze steht im Widerspruch zum LADG – im Gegenteil, wir sehen in dem LADG eine wertvolle Ergänzung zur Umsetzung von Schutz vor Diskriminierung für alle Menschen.

⭓  Welche Rolle spielen zivilgesellschaftliche Organisationen in dem Entwicklungsprozess?

Verbände und Projekte wie das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin (ADNB des TBB), der Migrationsrat und viele andere im Antidiskriminierungsbereich tätige Vereine haben den Entwicklungsprozess des LADG mit auf den Weg gebracht und aktiv begleitet.

Im aktuellen Gesetzgebungsprozess wurden wir mit der Gelegenheit beteiligt, zum letzten veröffentlichten Entwurf Stellung zu nehmen. Die ausführliche gemeinsame Stellungnahme der Antidiskriminierungs-Verbände vom August 2018 findet sich hier: http://www.migrationsrat.de/ladg-entwurf/. Viele Verbände und Projekte haben zudem einzelne Stellungnahmen eingereicht.

Aus Regierungskreisen heißt es, die aktuelle Textfassung (noch nicht veröffentlicht) enthalte zahlreiche Forderungen, die von der Zivilgesellschaft gestellt wurden. Wann die neuere Fassung veröffentlicht wird und schließlich im Abgeordnetenhaus abgestimmt werden kann, ist noch nicht bekannt.

Der Migrationsrat, seine Mitgliederorganisationen und sein Netzwerk werden den Prozess weiter verfolgen. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an unsere Geschäftsstelle unter gk [at] migrationsrat.de oder telefonisch.

Kontakt für Rückfragen & Interviews:

Geschäftsstelle des Migrationsrat Berlin

E-Mail: gk [at] migrationsrat.de

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